Gestaltungssatzung … Teil 2. Von Dr. Rüdiger Werner
Dr. Rüdiger Werner
27.01.2011
Warum der Umgang mit der Gestaltungssatzung eine Abkehr vom bisherigen politischen System bedeutet
Heute Abend war ich Zeuge einer öffentlichen Sondersitzung des Ausschusses mit dem Kürzel BUS&I, der als einzigen Tagesordnungspunkt eine Anhörung zur Gestaltungssatzung mit Bürgerbeteiligung hatte. Nach den Aufregungen im Vorfeld waren meine Erwartungen einigermaßen hoch, ich hatte eine heftige Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern erwartet, hatte die Diskussion über das eine oder andere Detail erwartet – und war dann sehr verblüfft, als es nach nicht einmal 90 Minuten hieß: Hiermit schließe ich die Sitzung. Das soll es gewesen sein?
Erfreulich war, dass so viele interessierte Bürger den Weg in die Kulturhalle gefunden haben. Ich schätze, es werden um die 250 gewesen sein. Enttäuschend war, dass es außer dem chronologischen Ablauf des Verfahrens, erläutert von Frau Becht und Bürgermeister Kern, und einer halb offiziellen, halb persönlichen Stellungnahme von Architekt Siegbert Huther nur 3 oder 4 Fragen oder Meinungen aus dem Publikum gab, darunter eine niveaulose Totalkritik von Stadtrat Weber und einige Nachfragen vom Mitinitiator der Interessensgemeinschaft Ortskern Arno Mieth. Die Aussagen sowohl von Bürgermeister Kern als auch von Frau Becht, dass Anträge oder Aussagen von 42 der 45 Stadtverordneten vorliegen, den Beschluss zur Gestaltungssatzung aufzuheben, dass die Satzung somit vom Tisch ist und darum auch nicht über ‚ja’ oder ‚nein’ und schon gar nicht über das ‚wie’ diskutiert werden muss, hat wohl vielen den Wind aus den Segeln genommen.
Einig waren sich Verwaltung und Politik, dass verbindliche Vorgaben die Empfehlungen des Magistrates zu Bauvorhaben im Ortskern erheblich erleichtern würden und dass man jetzt mit dem erwachten öffentlichen Interesse gemeinsam mit den interessierten Bürgern nach Lösungen suchen will, wie man dieses Ziel erreichen kann. Da frage ich mich: Warum jetzt erst? Was ist den in den vergangenen 2 ½ Jahren passiert? Genau das war doch die Intension der Antragssteller, als vor 2 ½ Jahren der Antrag gestellt wurde, eine Gestaltungssatzung zu entwickeln. Ich weiß hier genau, wovon ich spreche, denn ich gehörte quasi zu den Antragstellern. Genau deshalb hieß es im Punkt 4 des Antrages: „eine Anhörung zu dem Thema ‚Gestaltungssatzung für die Ortsmitte Ober-Roden’ im Rahmen einer Sondersitzung des zuständigen Fachausschuss „BUS&I“ durchzuführen. Ziel dieser Anhörung ist neben der frühzeitigen und vollumfänglichen Einbindung der Bevölkerung die Erläuterung der sachlichen und rechtlichen Bedeutung einer Gestaltungssatzung. Über die Besetzung des Podiums sowie die weiteren Details zur Anhörung ist im Ältestenrat zu beraten und entscheiden“. „Frühzeitig und vollumfänglich“! Wir (zumindest ich) haben uns das damals so vorgestellt: Der Planer macht sich erste Gedanken, einen Vorentwurf, dann gibt es – sagen wir nach 4 bis 6 Monaten – die Bürgerinformationsveranstaltung: was sind die Ziele der Politik, welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es diese Ziele zu erreichen, was ist eine Gestaltungssatzung, wie könnte diese im Detail aussehen? Dann beginnt – gemeinsam mit dem Planer und den interessierten Bürger – die inhaltliche Diskussion: Was muss unbedingt verbindlich festgelegt werden, für was soll es eine Richtlinie geben und welche Details sollen jedem Hausbesitzer komplett freigestellt werden. Auf dieser gemeinsamen Basis hin entwickelt der Planer dann eine Gestaltungssatzung, die von der Stadtverordnetenversammlung nochmals abschließend diskutiert und verabschiedet wird.
Die Veranstaltung heute kam folglich viel zu spät, das Kind war längst in den Brunnen gefallen. Und mal ehrlich: die Einsetzung einer Ortskernkommission ist nicht das, was ich unter ‚vollumfänglich’ verstehe. Diese Gremium ist in meinen Augen nur optional, als Hilfsorgan, zu sehen.
Und was macht die Politik jetzt? Sie will von vorne anfangen! „Wir sind jetzt am Anfang, jetzt gehen wir in die Diskussion, mal sehen, was am Ende herauskommen wird“. Warum hat man denn heute nicht mit der inhaltlichen Diskussion angefangen? Das ganze Verfahren wurde beendet, bevor sich die von den Bürgern gewählten Personen auch nur ein einziges Mal inhaltlich mit der Materie auseinander gesetzt haben. Ein bisher einmaliger Vorgang! Zweieinhalb Jahre Vorarbeit und ein mittlerer fünfstelliger Betrag für die Katz! Aber wir haben es ja… Jetzt soll neu angefangen werden. Vielleicht steht am Ende ein Stadtleitbild-Prozess wie in Heusenstamm. In meinen Augen sehr zielführend, aber bei weitem nicht umsonst zu haben. Also noch mal Geld in die Hand nehmen.
„Mehr Bürgerbeteiligung“ ist so ein Slogan, den sich alle Parteien ins Profil geschrieben haben. Im Prinzip ja auch nichts Schlechtes, aber haben wir hier wirklich die Kultur dazu? Ich sage: nur bedingt! Das Ansehen der politischen Klasse in Deutschland ist extrem schlecht, daher passiert nur selten, dass sich Bürger gemeinsam mit der Politik engagieren. In der Regel engagieren sie sich dagegen. „Politik ist mir egal, aber wehe, die beschließen etwas, was mir nicht passt, dann gibt es von mir projektbezogenen Protest“. Das ist die typische Haltung. Destruktiv, keine Alternativvorschläge, Hauptsache dagegen.
Es gibt auch andere, lobenswerte Beispiele. Immer da, wo es Bürger gibt, die sich wirklich engagieren, die ein Fachwissen ansammeln, dass der normale Kommunalpolitiker gar nicht haben kann, auf das er dann bei seinen Entscheidungen aber gerne zurückgreift. Zu nennen sind hier zum Beispiel die „Bürger für Sicherheit in Rödermark“, der Seniorenbeirat und aktuell die Zukunftswerkstatt Breidert. Aber auch hier stößt die Politik schnell an Grenzen. Wie definiert sich ein Sachverständiger? Wo endet der Null-Acht-Fünfzehn-Bürger, wo beginnt der Experte, dem man zuhört? Wem gewährt man Rederecht, wem nicht? Das ist definitiv wirklich kein einfaches Problem. So werden – weil man sich ja als Politiker absichern möchte – oft lieber teure externe Gutachten eingekauft als das Gespräch mit sachkundigen Bürgern gesucht, von denen man eine oft bessere Expertise ganz umsonst bekommen hätte.
Ein Rechtstaat braucht Regeln. Und zu den Regeln gehört auch, dass das Volk Vertreter aus seiner Mitte wählt, die dann – stellvertretend für alle – Entscheidungen treffen. Die Alternative dazu wären Volksentscheide oder Bürgerentscheide. Dazu haben wir in Deutschland aber nicht die richtige politische Kultur. In der Schweiz z.B. wird ganz anders diskutiert, das Volk weiß, dass es viele Dinge direkt entscheiden kann und ist sich der Verantwortung auch bewusst. Entsprechend hoch ist das Diskussionsniveau und die Beteiligung. Das sehe ich bei uns nicht so. Die Bürger befassen sich in der Regel erst mit einem Thema, wenn es sie persönlich tangiert. Alles andere ist erst einmal egal. Wie hoch würde wohl die Wahlbeteiligung in Urberach sein, wenn es einen Bürgerentscheid über die Gestaltungssatzung für den Ortskern Ober-Roden gäbe? Vielleicht 6 %? (wobei 5 % wahrscheinlich nur mitgemacht und mit ‚ja’ gestimmt hätten, um den Ober-Rödern eins auszuwischen). Die Stimmen der Hauptbetroffenen würden massiv übergewichtet, es wäre kein Bürgerentscheid, sondern ein Entscheid weniger Bürger, es wäre also ein Interessenentscheid, leicht manipulierbar. Wenn bei einer Abstimmung über eine neue Hochspannungsleitung nur diejenigen zur Wahl gehen, die als direkte Anlieger ein Interesse daran haben, dass die Leitung nicht gebaut wird, dann ist mathematisch halt eine relative Mehrheit dagegen, es wird nicht gebaut und 10 Jahre später merken die Nichtwähler von damals: „Oh, Scheiße, aus der Steckdose kommt ja gar kein Strom mehr, seit das nächstgelegene AKW abgeschaltet wurde. Wenn es SO kommt, ist in Deutschland keine Entwicklung mehr möglich. Gar keine! Keine einzige neue Straße, keine Bahnlinie, kein Neubaugebiet, keine Genforschung, keine Nanotechnologie, nichts mehr. Die Leute, die sich über Stuttgart 21 oder jetzt im kleinen Stil über Ober-Roden freuen, sollten sich darüber im Klaren sein.
Dann kommen unsere Autos in 25 Jahren aus Burkina Faso und Deutschland spielt keine Rolle mehr.
Wichtiger als direkte Bürgerbeteiligung ist in meinen Augen daher ein völlig transparenter Entscheidungsprozess und Bürgerinformation. Zusätzlich sollte jeder interessierte Bürger die Möglichkeit haben, sich im definierten Rahmen in den Meinungsfindungsprozess einzubringen. Entscheiden darf er nicht. Dabei gibt es für jeden Bürger einen ganz einfachen Weg der direkten Bürgerbeteiligung: er kann sich in die Arbeit einer politischen Partei einbringen! (Zugegeben: bei der heimischen CDU ist das manchmal etwas schwierig, aber es gibt ja glücklicherweise Alternativen). Nochmal: Die Stadtverordneten sind die vom Bürger gewählten Vertreter, die stellvertretend für ihn entscheiden. Und wenn diese Stadtverordneten einstimmig die Erstellung einer Gestaltungssatzung beschließen, dann ist das auch kein leichtfertiger, unüberdachter Beschluss, sondern ein Beschluss, der ein eindeutiges Ziel zum Wohle der Stadt hat. Selbstverständlich muss noch über den Inhalt diskutiert werden, wie anfangs gesagt vor allem mit den betroffenen Bürgern, aber das ‚ob überhaupt’ sollte nicht mehr in Frage gestellt werden. Daher bin auch so entsetzt darüber, dass die Mehrheit der Volksvertreter so schnell und ohne Not aufgrund des lautstarken Protestes einiger weniger Bürger (im Vergleich zur Gesamtbevölkerung) ihren eigenen Beschluss einkassiert hat. Das halte ich für populistisch. Denn alle Argumente sprechen weiterhin für eine Gestaltungssatzung. Warum hat man nicht ruhig dargestellt: wir haben die Einführung einer Satzung beschlossen, daran halten wir fest. Aber WAS da drin steht, das diskutieren wir jetzt gemeinsam und in Ruhe, bis wir einen gemeinsamen Nenner gefunden haben. Das wäre eine konsequente Lösung der verfahrenen Situation gewesen.
So sehe ich für die Zukunft schwarz: Welchen Handlungsspielraum hat Politik noch, wenn sie beim kleinsten Gegenwind einen Rückzieher macht? Das Thema Gestaltungssatzung und der heutige Abend hat die Politik verändert.
Dr. Rüdiger Werner
Marienstraße 19
27. Januar 2011
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