Blogbeitrag

Deutsche Familienpolitik – Augen zu und durch?

Für Blogartikel sind die jeweils benannten Autoren allein verantwortlich.
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Deutsche Familienpolitik – Augen zu und durch? – Von Dr. Rüdiger Werner

Dr. Rüdiger Werner
Dr. Rüdiger Werner

Deutschland hat ein Problem. Ein großes gesellschaftliches Problem. Wir stellen Familienpolitik an oberste Stelle, pumpen Milliarden von Steuergeldern in die Familienförderung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, in den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und was ist der Erfolg? Wir haben von allen westeuropäischen Industrienationen die niedrigste Geburtenrate! Wir reproduzieren uns nicht, wir schaffen uns langfristig selber ab.

Hier die erschreckenden aktuellen Zahlen:

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Was ist die Antwort der Politik? – Noch mehr Geld für Familien, noch mehr Kinderbetreuungseinrichtungen. Das machen wir schon seit Jahrzehnten, aber mit welchem Erfolg? Mit keinem! Die Fertilitätsrate verweilt schon seit 3 Jahrzehnten bei 1,4 ± 0,1. In allen westlichen und nördlichen Nachbarländern ist sie dagegen angestiegen. Warum steigt die Geburtenrate in vergleichbaren Ländern mit vergleichbarer Ausgangssituation und in Deutschland verharrt sie auf zu niedrigem Niveau? Bevor ich weitere Milliarden an Steuergeldern in ein System pumpe, was keinerlei Erfolge aufzuweisen hat, würde ich doch einmal genau untersuchen, was unsere Nachbarländer anders machen, was sie besser machen. Am Geld kann es nicht liegen, denn hier liegt Deutschland schon im vorderen Drittel der Länder. Auch an den Kosten für Betreuung und Bildung kann es nicht liegen, denn viele Bekannte mit Auslandserfahrungen haben mir erzählt, dass sie überall deutlich mehr Betreuungsgebühren für ihre Kinder zahlen mussten als bei uns, teilweise bis zu 800 € im Monat.
Mein Ansatz für eine erfolgreiche Familienpolitik, für ein wirklich kinderfreundliches Deutschland wäre daher ganz einfach: von den Nachbarn lernen. Eine umfangreiche detaillierte Studie über die Konzepte der Nachbarländer, was diese gekostet haben und welche Erfolge sie brachten. Darauf folgend die Überlegung, ob und wie die besten und erfolgreichsten Ansätze der Nachbarn auf Deutschland übertragbar sind. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden.
Ich bekomme zwar mit Sicherheit nicht alle durchgeführten Studien mit, viele aber schon. Noch nie habe ich eine umfassende Studie zu diesem elementaren Thema gelesen bzw. von ihrer Existenz gehört. Man hört immer nur als Erklärung für unsere kinderarme Gesellschaft: Kinder seien zu teuer, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist oftmals sehr schwierig. Mag sein, dass Kinder ihren Preis haben, aber auch die französischen und britischen Kinder kosten Geld, auch die Franzosen und Briten müssen arbeiten und bekommen trotzdem deutlich mehr Kinder. Das alleine als Ursache zu betrachten, ist viel zu einfach und billig.

Ich möchte es mal ein wenig provokativ darstellen und wähle daher im folgenden einen eher technischen Ansatz. Ein Staat wird gemeinhin definiert als System der öffentlichen Institutionen zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens. Aber er steht auch für die Verwirklichung der moralischen Ziele des Einzelnen und der Gesellschaft. Ein oberstes Ziel eines Staates ist der Selbsterhalt. Es ist also eine der wesentlichen Aufgaben des Gemeinwesens Staat darauf zu achten, dass seine Bürger genügend Nachkommen produzieren, um die Fortführung des Staates zu gewährleisten.
Der oberste Daseinszweck eines jedes biologischen Wesens (zu denen auch der Mensch gehört) ist die Fortpflanzung und damit die Reproduktion, der Arterhalt, die Weitergabe der eigenen Gene. Bis vor wenigen Jahrzehnten hat sich der Mensch auch daran gehalten. Kinder sorgten nicht nur für einen Fortbestand der eigenen Gene, sie hatten auch den wichtigen Nebeneffekt, für die Eltern zu sorgen und so deren Leben zu verlängern, wenn diese sich nicht mehr selbst versorgen konnten (die Gefahr der Überreproduktion und deren Auswirkungen auf das Ökosystem Erde möchte ich an dieser Stelle bewusst ausblenden, das ist ein anderes umfangreiches Thema). In den letzten 40 Jahren hat sich das in vielen Industrienationen radikal geändert. Oberster Daseinszweck ist nicht mehr die Erhalt der Art, sondern die Selbstverwirklichung des Einzelnen. Die Gemeinschaft, gerne auch als ‚der Steuerzahler’ bezeichnet, sorgt für den Unterhalt in schwierigen Lebenssituationen sowie im Alter, Kinder werden dafür nicht mehr benötigt und sind für viele Bürger bzgl. ihrer Selbstverwirklichung eher lästig, die Kinderzahl sinkt deutlich unter das für den Selbsterhalt nötige Maß.
Somit ist eine der wesentlichen Aufgaben des Staates in Gefahr, der Staat muss eingreifen und Anreize schaffen, damit seine Bürger genügend Nachkommen zeugen, um den Fortbestand des Staates zu gewährleisten. Womit wir wieder bei der Familienpolitik sind. Das primäre Interesse des Staates kann es nicht sein, Eltern das Leben zu erleichtern und sie mit viel Geld zu unterstützen auf Kosten der Allgemeinheit. Das Interesse des Staates darf lediglich sein, dass es genügend Kinder zum Selbsterhalt gibt. Wenn dies nur dann der Fall ist, wenn man Eltern das Leben erleichtert und mit viel Geld unterstützt, ist das legitim, es würde dem Staat dienen. Wenn die Ziele des Staates aber trotz der hohen Kosten für die Allgemeinheit nicht erreicht werden, stellt sich die Sinnfrage: warum geben wir hier so viel Geld aus? Wäre es anderswo zum Wohle der Allgemeinheit nicht besser eingesetzt?

Sicherlich kann man die Wirkung eines Konzeptes nicht exakt im Voraus abschätzen, Familienpolitik ist langfristig angelegt, es kann schon einmal 10 oder 15 Jahre dauern, bis man sagen kann, ob sich eine Investition lohnt oder nicht. Daher möchte ich auch den Regierungen nicht das Recht absprechen, hier Dinge auszuprobieren. Aber man muss dann auch nach 15 Jahren mal den Mut haben, eine Transferleistung wieder abzuschaffen, wenn sie nicht den gewünschten Erfolg zeigt. Die deutsche Familienpolitik zeigt definitiv nicht den gewünschten Erfolg, viel zu viel wird am Geld festgemacht.

An dieser Stelle möchte ich den Bogen zurück zur Kommunalpolitik schlagen. Denn der größte Ausgabeposten einer Kommune wie Rödermark ist die Familienpolitik, die Finanzierung und Bereitstellung von Betreuungsplätzen für Kinder von 0-10 Jahren. Nachdem objektiv festgestellt werden muss, dass die deutsche Familienpolitik ineffizient ist, muss man sich auch die Frage stellen, ob die Sonderstellung der Familienpolitik auf kommunaler Ebene noch aufrecht erhalten werden kann und sollte. „Wir kürzen überall, nur nicht bei den Kindern“ hört man allenthalben. Wenn ich sehe, welche anderen wesentlichen Aufgaben einer Kommune dadurch ihrer Ressourcen entzogen werden, was alles nicht mehr möglich ist, weil alles Geld in die Kinderbetreuung gesteckt wird, dann ist es aus meiner Sicht legitim zu sagen: die Schmerzgrenze ist erreicht. Wir stoppen hier.
Dabei muss man gut auseinander halten: Die kommunalen Betreuungsausgaben sind zum einen Bestandteil der Familienpolitik (Anzahl der Plätze, Öffnungszeiten, Kosten der Plätze), aber zum anderen auch Bestandteil der Bildungspolitik (Erziehung, Qualität der Betreuung), was eine genauso wichtige Aufgabe des Staates ist. Ein Staat kann die nötigen Mittel zur Finanzierung seiner Aufgaben und damit zum Erhalt der Gemeinschaft am einfachsten mit gut ausgebildeten Bürgern erreichen. D.h. egal, wie viele Nachkommen ein Gemeinwesen hervorbringt – der Staat sollte für deren bestmögliche Bildung sorgen!
Das ‚Stopp’ bei den Betreuungskosten bezieht sich also nur auf den familienpolitischen Teil. Solange die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht nachgewiesen ist, bin ich nicht mehr bereit, noch mehr Mittel hierfür bereitzustellen. Im konkreten heißt das: kein weiterer Ausbau der Kapazität, keine Erweiterung von Betreuungszeiten ohne vollständige Kostenübernahme von der Nachfrageseite.
Gerade im Bereich der Kleinkindbetreuung bin ich der Meinung, dass vom Staat genug getan wird, dass Eltern ihr Kind bis zum 3. Lebensjahr selbst betreuen und erziehen können. Finanziell ist das für die allermeisten (mit einigen Abstrichen) möglich und sollte moralisch über der Selbstverwirklichung stehen. Bei monatlichen Kosten von rund 270 € ist leider vielen Eltern die Selbstverwirklichung wichtiger als die Kindeserziehung. Es gibt doch nichts Spannenderes als mitzuerleben, wie seine Kinder langsam groß werden. Das kann man aber nicht, wenn man diese um 8 Uhr morgens abgibt und um 17 Uhr wieder einsammelt. In dieser entscheidenden Prägephase sollten die Kinder viel mehr Zeit mit ihren Eltern verbringen dürfen, was ja meist mit einer Individualförderung gleichkommt und damit der Gruppenförderung in einer Betreuungseinrichtung überlegen ist. Natürlich darf man auch hier nicht pauschalisieren, natürlich gibt es auch Kinder, für die eine staatliche Erziehung besser ist als die familiäre. Kleinkindbetreuung hat auch eine soziale Komponente. Man hat als Eltern einen Austausch mit anderen Eltern, die Kinder lernen den Umgang mit anderen Kindern, lernen auch von diesen, was später immer wichtiger wird. Aber das bekommt man auch in privaten Krabbeltreffs oder bei stundenweiser Betreuung mit. Ganztagsplätze von 7-17 Uhr sind dazu nicht erforderlich.

Bevor man mir diesen Teil wieder falsch auslegt, möchte ich das gleich klarstellen. Ich bin Mitglied einer liberalen Partei, selbstverständlich soll sich jeder Staatsbürger im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst verwirklichen können. Der Staat sollte sogar alles tun, dafür die besten Rahmenbedingungen zu schaffen. Aber es ist nach meiner Auffassung nicht Aufgabe des Staates, dieses persönliche Streben des Einzelnen nach seinem Lebensglück auch komplett zu finanzieren. Daher nochmals: der Staat setzt nur die Rahmenbedingungen für die Selbstverwirklichung durch Eigenverantwortung.

In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach solchen Ganztags-U3-Plätzen enorm angestiegen, auch weil die Kosten dafür bei vielen Eltern weit unter der Schmerzgrenze lagen. Ich würde daher dafür plädieren, den Elternanteil an den Kosten nochmals deutlich zu erhöhen, z.B. auf 400 € im Monat. Auch 500 € wären für mich denkbar. Für finanzschwache Familien, die wirklich auf so einen Platz angewiesen sind, muss es natürlich Zuschussprogramme geben. Aber ich bin überzeugt, dass sich mit dieser Subventionskürzung die Nachfrage deutlich senken lassen würde und der Druck, von Seiten der Kommune für weitere Plätze zu sorgen, wahrscheinlich verschwunden wäre.
Nun werden einige sagen, Eltern, die Arbeiten erbringen eine Wirtschaftsleistung, generieren damit auch Steuereinnahmen für den Staat, die dann wegfallen würden, wenn sich ein Elternteil wieder ganztägig um das eigene Kind kümmern würde. Das ist sicherlich richtig, aber bei wie vielen Eltern gleicht dieser Beitrag die direkten Kosten der Kleinkindbetreuung für die öffentliche Hand von rund 1500 € im Monat aus?

Fazit: In der deutschen Familienpolitik müssen alternative Wege gedacht werden, das Ergebnis muss mehr im Mittelpunkt stehen. Die Wege dazu lauten: von den Nachbarn lernen, wie die Gesellschaft auch in der Praxis kinderfreundlicher werden kann, so dass 3 oder mehr Kinder wieder als normal angesehen werden. Dazu müssen die Kosten der Familienpolitik, insbesondere die der Kinderbetreuung transparenter und bewusster gemacht werden. Ich würde daher den Eltern sowohl für die Kindertagesstätten als auch für Schule und Hort Jahresrechnungen ausstellen. Die Betreuung von Ihrem Kind hat 2014 Kosten in Höhe von XY € verursacht. Davon trägt die Kommune 75 %, 10 % kommen vom Land und ihr Anteil beträgt 15 %, d.h. YX €. Der Schulbesuch ihres Kindes verursachte 2014 kosten in Höhe von XYZ €. Ihr Anteil an diesen Kosten beträgt: 0 €. Die Bewusstseinsschaffung ist den damit verbundenen Verwaltungsaufwand sicher wert.
Wann kann und sollte das Rad nicht mehr zurückdrehen, die Wirtschaft des Staates ist darauf angewiesen, dass vielleicht 80 % der Personen im erwerbfähigen Alter auch einer bezahlten Arbeit nachgehen und nicht mehr 60 % wie noch vor 30 Jahren. Dass sich auch hohe Erwerbsquoten mit höheren Kinderzahlen in Einklang bringen lassen, zeigen unsere skandinavischen Nachbarn. Wir müssen nur die richtigen Wege und Mittel finden.

Dr. Rüdiger Werner
Rödermark, im Februar 2014